Burgenlands Unternehmen – die Geschichte der Zuckerfabrik Siegendorf

Unsere Reise durch die burgenländische Unternehmenslandschaft setzen wir im Norden des Burgenlandes fort. Eine markante Silhouette verkörpert sie noch heute, obwohl dort seit 35 Jahren der Betrieb eingestellt wurde. Die Rede ist von der Zuckerfabrik in Siegendorf.

Zuckerfabrik Siegendorf

Die burgenländische Wirtschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts ist eng verwoben mit der damaligen arbeitsteiligen Gesamtstruktur der Wertschöpfungsketten innerhalb der Habsburgermonarchie. Während in den böhmischen und mährischen Landen die Industrialisierung sich zusehends entfaltete, was mit dem naturgegebenen Standortvorteil in Form von großen Kohlevorkommen zusammenhing, blieben die ungarischen Gebiete sowie die Alpenländer von der Agrarwirtschaft geprägt. Die wirtschaftlich potente Region rund um das Zentrum Wien inklusive der Residenzstadt selbst musste teilweise mit Nahrungsmitteln versorgt werden.

Das damals zu Ungarn zugehörige Gebiet „Deutsch-Westungarn“, welches sich auf vier unterschiedliche Komitate verteilte und eben bis zur Burgenland-Werdung im Jahr 1921 keine geschlossene historische Einheit bildete, spielte in der Versorgungskette für die unweit entfernt liegende Reichshauptstadt Wien eine bedeutende Rolle. So haben wir bereits über die Wichtigkeit der Weinexporte aus der prestigeträchtigen Freistadt Rust am See berichtet. Gleichwohl der Zuckergehalt in der Vinifikation für die Qualität des Weines mitentscheidend ist, hängt die heutige Geschichte im Rahmen unserer Serie „Burgenlands Unternehmen“ nur peripher mit dem edlen Tropfen zusammen…

 

Der Aufstieg der Zuckerindustrie im Habsburgerreich

Denn im Mittelpunkt diesen Serienteils steht die Zuckerproduktion. Dabei ist dem französischen General und späteren Kaiser Frankreichs Napoleon Bonaparte geschuldet, dass sich die Gewinnung des Süßstoffs aus der Zuckerrübe industriell in Europa lohnte. Diese Maßnahme von Napoleons Kontinentalsperre von 1807 bis 1813 verteuerte den Import von Rohrzucker aus den Kolonien drastisch. Die Menschen in Europa waren aber nicht mehr bereit, auf das Konsumgut Zucker zu verzichten. Die Rübenzuckerindustrie blühte während der Kontinentalsperre auf, wenngleich nach dem Sieg über Frankreich der importierte Rohrzucker wieder die Oberhand gewann.

Dank in Deutschland entwickelter Verfahren konnte ab Mitte der 1830er Jahre der Markteintritt zu konkurrenzfähigen Preisen erfolgen. In recht kurzer Zeit wuchs die Rübenzuckerindustrie hierzulande zur „Königin der österreichischen Industrie“ empor. Die Donaumonarchie war Zentrum von branchenspezifischen Innovationen wie das von Julius Robert entwickelte Verfahren zur Auslaugung der Rübenschnitzel durch Diffusion. Dadurch, aber auch dank einer staatlichen Subventionspolitik, änderte sich über die Jahre der Fokus von der Produktion für das inländische Gebiet in Richtung Export.

 

 

Bayrisches Knowhow für die neue Zuckerfabrik Siegendorf

Der Beginn der Zuckerproduktion in Siegendorf steht im unmittelbaren Zusammenhang mit einem ursprünglich aus Bayern stammenden Maschinenmeisters. Conrad Patzenhofer kam über Umwege nach Wiener Neustadt, wo er eine Bekanntschaft machte, die sein weiteres Leben einschneidend prägen sollte. In neuer Anstellung bei der Wr. Neustädter Zuckerraffinerie Reyer & Schlick lernte er den verantwortlichen technischen Werkleiter Peter Daniel Rothermann kennen. Im Jahr 1850 gründeten sie gemeinsam die Zuckerfabrik in Hirm, deren technischer Direktor Patzenhofer für eine kurze Dauer wurde.

Doch nur zwei Jahre später trennten sich die beruflichen Wege von Patzenhofer und Rothermann. Mit dem Pächter der Esterházy-Besitzungen in Siegendorf, Michael Ruehietl, einigte sich der damals 31-jährige Patzenhofer, den Zuckerrübenanbau in dem Ort südlich von Eisenstadt professionell zu betreiben. Nach Abschluss der Bauarbeiten konnte ab dem Jahr 1853 die Produktion starten. Während zu Beginn noch der Rohzucker im Zentrum der Kampagnen stand, wurde ab dem Jahr 1859 weißer Zucker hergestellt. Im Übrigen blieben die Häuser Rothermann und Patzenhofer familiär verbunden, denn Conrad Patzenhofer ehelichte mit Mathilda die Tochter Peter Rothermanns. Ein Indiz für ein intaktes Verwandtschaftsverhältnis lässt sich zumindest aus den wirtschaftlichen Aktivitäten erschließen. Denn in späteren Jahren beteiligten sich beide Familien gemeinsam an verschiedenen Unternehmen wie beispielsweise der Zuckerfabrik Landegg im nahen Niederösterreich.

Quelle: Günter Nikles

Von großer ökonomischer Bedeutung für das weitere Wachstum am Standort war die Errichtung der Bahnlinie Ödenburg-Wulkaprodersdorf-Ebenfurt mit einer Abzweigung nach Siegendorf, die auf Betreiben von Patzenhofer errichtet wurde. Das offiziell bezeichnete Unternehmen „Siegendorfer Zuckerfabrik – Conrad Patzenhofers Söhne“ etablierte sich zu einem der größten Arbeitgeber in der Region um Siegendorf und trug wohl sein Scherflein dazu bei, dass sich die Ortschaft zu einer Bastion der burgenländischen Sozialdemokraten entwickelte.

 

Vom Zwangsarbeitslager bis zur Schließung

Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem territorialen Zerfall der Doppelmonarchie stand die Zuckerfabrik nun auf Boden der jungen Republik Deutsch-Österreich. Keine zwei Jahrzehnte später stand das Unternehmen durch den Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland unter der Kontrolle der in Berlin ansässigen Hauptvereinigung der Deutschen Zuckerwirtschaft. Zu Ende des Zweiten Weltkriegs trug sich das wohl dunkelste Kapitel in der Geschichte des Industriestandorts zu. Anfangs von der deutschen Wehrmacht als Kriegsgefangenenlager umfunktioniert, wurden ab Ende 1944 über 1.000 Juden und KZ-Häftlinge in der zeitweise stillgelegten Zuckerfabrik untergebracht. Sie mussten zum Einsatz beim Bau des Südostwalls. Mindestens 400 Insassen kamen unter den katastrophalen Bedingungen in der Zuckerfabrik ums Leben.

In den ersten Jahren nach Kriegsende wurde die Zuckerproduktion in Siegendorf wieder in Betrieb genommen. Die Rolle als weiterhin einer der wichtigsten Leitbetriebe des Burgenlandes blieb in den Folgejahrzehnten erhalten. Nach rund 130 Jahren im Besitz der Patzenhofers wurde die Fabrik in Siegendorf im Jahr 1977 an die Tullner Zuckerfabrik GmbH verkauft. Im selben Jahr kam es zu einer starken Konsolidierung innerhalb der Branche, als die Zuckerfabriken von Leopoldsdorf, Dürnkrut, Hohenau, Enns und Tulln zur Sugana Zucker GmbH fusionierten. Knapp ein Jahrzehnt später beschloss das Management der mittlerweile neu formierten Agrana die Schließung der altehrwürdigen Zuckerfabrik in Siegendorf. Nur zwei Jahre davor – also 1986 – musste mit der Zuckerfabrik in Bruck an der Leitha, die zuvor mit der Sugana fusionierte, ebenso ein langjähriges Aushängeschild der österreichischen Zuckerindustrie den Betrieb aufgeben. Durch die vielen Rationalisierungen wurden in der Folge in Österreich zahlreiche Zuckerfabriken geschlossen, so dass heute nur noch die Fabriken in Leopoldsdorf im Marchfeld und jene in Tulln operativ in ihrer Funktion tätig sind.

 

 

Seit der Schließung vor exakt 35 Jahren ist und bleibt die Nachnutzung der markanten Industrieanlage ein Politikum. Die zunächst geplante Müllverwertung scheiterte früh am Bürgerprotest in den späten 1980er Jahren. Seitdem beherbergt das Gelände der Zuckerfabrik die Gewerbezone Ost mit diversen Firmen aus verschiedenen Branchen. Aus Sicherheitsgründen musste vor einigen Jahren ein Teil der baufällig gewordenen Anlage abgetragen werden. Nun stehen Medienberichten zufolge Gespräche über einen Verkauf des ehemaligen Industrieareals, das mit der Zuckerfabrik ein heuer selten noch sichtbares Wahrzeichen burgenländischer Unternehmensgeschichte verkörpert, seitens einer privaten Firmengruppe an das Land Burgenland im Raum.

 

Wie hat euch unser Stück über die Zuckerfabrik Siegendorf gefallen? Teilt uns gerne eure Meinung mit einem Kommentar mit!

 

Referenzen zu verwendeten Medien:

Hier die Links zu den anderen Artikeln der Serie:

🗨 Kommentare ( 0 )