Burgenlands Unternehmen – eine Zeitreise in mehreren Teilen

In unserer neuen Serie werfen wir einen Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung des Burgenlandes und seiner Unternehmen. Im ersten Beitrag spannen wir einen historisch weiten Bogen von den industriellen Anfängen im 19. Jahrhundert bis zum aktuellen Strukturwandel.

Neufeld Jute Spinnerei

Eine Annäherung an den Komplex Wirtschaft gestaltet sich – wie in unserem letzten Beitrag skizziert – als auf dem ersten Blick unübersichtliche, in sich verwobene Stränge an vielschichtigen Themen. In Bezug auf das Unternehmertum im Burgenland betrachten wir hier verschiedene Dimensionen wie Geographie, Gesellschaft oder die politische Entwicklung über einen historischen Zeitraum von jener Zeit, als die sieben Bezirke zwischen Kittsee und Kalch noch vier ungarischen Komitaten zugeordnet waren bis hin zur Gegenwart.

In diesem Auftakt zu einer mehrteiligen Serie über (teilweise nicht mehr) existierende, die Region über lange Jahrzehnte prägende Unternehmen im Burgenland möchten wir uns zunächst diesen unterschiedlichen Facetten widmen. Ein grundlegendes Verständnis über ihre Bedeutung ist unerlässlich, um den zeitlichen Kontext und die vorherrschenden Rahmenbedingungen für Burgenlands Wirtschaftsbetriebe einzuordnen. In den darauffolgenden Beiträgen werden wir die Geschichte einzelner Unternehmen näher betrachten.

Randnotiz: Ausgangslage im späten 19. Jahrhundert

Als im Jahr 1873 in den Zeitungen der Habsburgermonarchie vom „Wiener Börsenkrach“ zu lesen war, blieb die nachfolgende Phase wirtschaftlicher Stagnation auch in Transleithanien nicht ohne Auswirkungen. Das heutige Burgenland als Bestandteil der ungarischen Reichshälfte war bereits damals eine über mehrere Komitate zerteilte Grenzregion. Die Großgrundbesitzer und Magnaten übten ihre historisch gewachsene Dominanz aus, an ein bürgerliches Unternehmertum wie in Wien war kaum zu denken. Die prosperierenden Industriezentren im Wiener Becken grenzten an den nördlichen Gebieten Deutsch-Westungarns und die neuen Fabriken rund um Wiener Neustadt, Pottendorf oder Ebenfurth spielten als Arbeitgeber für die westungarische Bevölkerung eine bedeutende Rolle.

Burgenland Industriestandorte 19. Jahrhundert

Industriestandorte in Deutsch-Westungarn von 1859 bis 1914. (Quelle: Atlas Burgenland)

Gleichwohl gerne die agrarische Struktur in den Gebieten Westungarns hervorgehoben wird, hängt diese Zuschreibung vorwiegend mit dem Ausbleiben von Ansiedlungen der Großindustrien zusammen. Sei es in der Steiermark (Hartberg, Grazer Becken), sei es in Niederösterreich (Wiener Becken): die Vergleichsbasis hinkt enorm, denn die unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung der beiden habsburgischen Reichshälften Österreich und Ungarn wird vor allem an der grenzenden Peripherie deutlich. Die Auswanderungswelle in Richtung Amerika sei an dieser Stelle als Faktor nicht auszuklammern.

Textilien, Zucker, Eisenbahn

Vor dem Beginn des Ersten Weltkrieges und dem folgenden Zerfall der k. u. k.-Monarchie nach Kriegsende trug die einsetzende Industrialisierung doch erste Früchte. Als dominierender Wirtschaftszweig entwickelte sich die Textilindustrie in den Grenzorten Neufeld, Neudörfl, Hornstein und Pinkafeld. Charakteristisch dafür steht die „Erste Ungarische Jute-Spinnerei und Weberei“ in Neufeld, die später zur HITIAG (Hanf-, Jute- und Textil-Industrie AG) erweitert wurde. Von überregionaler Bedeutung war zudem die um Siegendorf und Hirm niedergelassene Zuckerindustrie, die an ihren beiden Standorten einen hohen Beitrag zu wirtschaftlichen Wertschöpfung in der Industrieproduktion beisteuerten. Weiters wirkte sich die Errichtung der Raab-Ödenburg-Ebenfurther Bahn positiv auf die Attraktivierung des Wirtschaftsstandorts im heutigen Nordburgenland aus.

In der Zwischenkriegszeit und der Phase der wirtschaftlichen Depression setzte die letzte große Auswanderungswelle in den USA ein. Immerhin wurde 1928 die infrastrukturelle Lücke in der Nord-Süd-Verbindung beim Sieggrabener Sattel geschlossen. Die burgenländische Industrielandschaft blieb maßgeblich von den Textilbetrieben bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges geprägt.

„Burgenländische Gründerzeit“ oder die „verlängerte Werkbank des Westens“?

In der Zeit nach dem Kriegsende 1945 verblieb das Burgenland in seiner peripheren Randlage. Die Abschottung Osteuropas unter dem Einfluss der Sowjetunion prolongierte diesen Status bis zum Ende der 1980er Jahre. Dennoch setzten die politisch Verantwortlichen in der Attraktivierungskampagne des Wirtschaftsstandort Burgenland stark auf den Faktor Arbeitskraft. Das Reservoir an verfügbaren, meist weiblichen Arbeitskräften sollte ausländische Unternehmen dazu bewegen, in Zweigbetriebe auf burgenländischem Gebiet zu investieren. Da diese Jobs vorwiegend einer niedrigen Besoldung entsprachen, pendelten weiterhin viele Burgenländerinnen und Burgenländer nach Niederösterreich, Steiermark und Wien. Das Burgenland als „verlängerte Werkbank“ für den kapitalistischen Westen Europas?

Industriestandorte im Burgenland von 1956 und 2010. (Quelle: Atlas Burgenland)

Jedenfalls ließen sich quer über die Bezirke wichtige Ankerbetriebe als Arbeitgeber nieder: Felix Austria in Mattersburg, Vossen-Frottier in Jennersdorf, Triumph mit mehreren Standorten in den Bezirken Oberwart und Oberpullendorf, Scana-Amico in Neusiedl, Neudörfler Büromöbel in – richtig geraten – Neudörfl usw. usf. Eine der größten Niederlassungen trug sich im Südburgenland zu: bei Saniped in Großpetersdorf arbeiteten am Höhepunkt in etwa 1.500 Menschen.

Ein jähes Ende und Aufschwung dank der Europäischen Union

Am Ende dieser zweiten (oder doch ersten?) Industrialisierungswelle, die entsprechend von der öffentlichen Hand finanziell incentiviert wurde, stand der strukturelle Wandel in Richtung Dienstleistungsbereich, sprich der Übergang des führenden Wertschöpfungsbereichs vom sekundären in den tertiären Sektor. Die verzögerte Entwicklung des Burgenlands konnte hier einem globalen Trend nichts entgegensetzen: Verlagerung der Produktionsstätten in die Niedriglohnländer gen Osten, Wegrationalisierung durch verstärkte Automatisierung, allgemein geringe Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität des burgenländischen Industriestandorts.

Durch den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union im Jahr 1995 wurde das Burgenland als sogenanntes Ziel-1 Gebiet definiert. Dies bedeutete hohe Subventionen aus öffentlichen Geldern, um den im Vergleich zu anderen Bundesländern Österreichs wirtschaftlichen Rückstand schrittweise zu verringern. Heutzutage prägen grenzüberschreitende Wirtschaftsparks wie in Heiligenkreuz, Technologiezentren von Norden bis Süden, eine gewachsene Tourismusbranche quer durchs Land sowie die über die Landesgrenze hinaus bekannte Shopping-Agglomeration in Parndorf die Unternehmerlandschaft des Burgenlands. Strukturelle Unterschiede zwischen den einzelnen Bezirken spiegeln ein zumindest zwiespältiges Bild vom Erfolgsmodell Burgenland wider (Stichwort Nord-Süd-Gefälle), gleichwohl die Ziel-1-Gelder gesamthaft gesehen einen ordentlichen Schub im letzten Jahrzehnt für die pannonische Wirtschaftskraft bedeuteten.

Bruttoregionalprodukt Österreich Bundesländer

Darstellung über die Entwicklung des Bruttoregionalprodukts von 2010 bis 2019 für Österreichs Bundesländer (Quelle: Statistik Burgenland)

Wie erlebt ihr das Unternehmertum im Burgenland? Teilt uns gerne eure persönliche Wahrnehmung und Erfahrungen mit einem Kommentar mit!

 

Referenzen zu verwendeten Medien:

  • Foto Jute-Spinnerei und Weberei in Neufeld an der Leitha: Günter Nikles
  • Quelle für Recherche und historische Darstellungen zu den Industriestandorten des Burgenlandes: Atlas Burgenland
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