100 Jahre Burgenland – Oliver Rathkolb im Sautanz-Interview (Teil 1)

Im Rahmen von 100 Jahre Burgenland führten wir mit einem besonders profunden Gesprächspartner ein Interview: der Zeithistoriker und Kurator der Jubiläumsausstellung auf Burg Schlaining, Oliver Rathkolb, sprach im ersten Teil über burgenländische Identität und vieles mehr.

Oliver Rathkolb Burgenland

 

Sautanz: Herr Rathkolb, wie nehmen Sie das Interesse an zeitgeschichtlichen Themen in der heutigen Zeit in Österreich wahr?

Oliver Rathkolb: Ich sehe nach wie vor ein großes Interesse an Zeitgeschichte in Österreich. Beispielsweise anhand von Sonderbeilagen in Zeitungen, wie der Tageszeitung Die Presse, aber auch ORF III lebt ja von der Zeitgeschichte und der klassischen Musik. Wobei sich das Interesse dabei meiner Meinung nach auf zwei Blöcke konzentriert: Die Habsburgermonarchie und deren Ende inklusive dem Ersten Weltkrieg. Weiters gibt es einen starken Fokus auf die Zeit vor 1945 mit einem Schwerpunkt auf den Nationalsozialismus. Ich würde mir definitiv mehr Angebot zur Geschichte der Zweiten Republik nach 1945 wünschen. Da gibt es sicherlich Nachholbedarf. Die deutschen Kollegen sind uns hier voraus.

 

Das Jahr 2021 stand im jüngsten Bundesland Österreichs ganz im Zeichen des hundertjährigen Jubiläums. Aus der Perspektive eines Historikers: hat sich über diese 100 Jahre Burgenland eine Art burgenländische Identität entwickelt?

Ja, das denke ich schon. Die Burgenländerinnen und Burgenländer haben sich – gerade wenn man es in der langjährigen Geschichte vergleicht – hin zu einer sehr aufgeschlossenen, vielfältigen, ja europäischen Identität entwickelt. Ich habe mir in der Vorbereitung auf die Ausstellung 100 Jahre Burgenland alle Jubiläumsfeiern seit der Zwischenkriegszeit genau angesehen. Hier merkt man, dass diesmal das Burgenland erstmals auf einer offiziellen Ebene uneingeschränkt hinter allen  unterschiedlichen ethnischen und religiösen Gruppen steht und mittlerweile auch ein entspanntes Verhältnis zum großen ungarischen Nachbarn hat. Also zusammengefasst: ja, es gibt eine burgenländische Identität, sie ist aber definitiv vielfältiger als beispielsweise die der Tiroler, als EuropäerIn, ÖsterreicherIn, BurgenländerIn, Burgenland-Kroate, – Roma, Ungar etc. .

 

Jubiläumsausstellungen haben – wie der Name verrät – einen anlassbezogenen Charakter. Im Sinne der Kontinuität von Wissensvermittlung: Wie sehen Sie die aktuellen Pläne für ein „Haus der burgenländischen Geschichte“?

Da bin ich zwar nicht eingebunden, finde die Idee aber sehr vernünftig. Ich glaube, dass die beiden Ausstellungen Wir sind 100. Burgenland schreibt Geschichte auf Burg Schlaining und Von Deutschwestungarn ins Burgenland – Geschichte einer Region auf Burg Güssing eine ideale Klammer sind, die lange Geschichte des Burgenlandes zu analysieren. Es ist wichtig auch in größeren Zusammenhängen Geschichte zu thematisieren und natürlich mit einem geeigneten Vermittlungsprogramm unterschiedliche Gruppen anzusprechen und somit Geschichte auch erlebbar zu machen.

 

Inwiefern finden die Verbindungen nach Amerika durch die unterschiedlichen Auswanderungswellen im heutigen Burgenland noch Niederschlag?

Die Auswanderung nach Amerika ist im Burgenland definitiv noch Thema. Als ich den Landeshauptmann Doskozil um ein Foto gebeten habe, um unseren Aufruf, Bilder auf die Plattform zur Jubiläumsausstellung hochzuladen, brachte er mir just ein Foto, wo auch eine nahe Verwandte aus Amerika gerade zu Besuch war. Das finde ich bezeichnend. Als ich zufällig gerade auf der Burg Schlaining war und einer Gruppe Amerikanern begegnete: die hatten alle Großeltern im Burgenland, sprachen zwar kein Wort Deutsch mehr, aber waren zu dieser Zeit auf Familienforschung hier unterwegs. Sicherlich ist es nicht mehr – vor allem in den USA – so ein starkes Thema wie es früher einmal war. In Chicago beispielsweise finden sich nur mehr Überreste der früher sehr großen burgenländischen Auslandsorganisation. Wichtig war uns in der Ausstellung zu zeigen, dass die Auswanderung nicht nur die USA betroffen hat, auch Brasilien und Kanada waren Zielländer. Ich glaube aber, dass dieses Thema langsam in der Geschichte verschwinden wird.

 

Das Burgenland wurde unter der NS-Herrschaft aufgelöst und dem heutigen Niederösterreich bzw. der Steiermark zugeteilt. Stand nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die Beibehaltung dieses wieder rückabgewickelten Status Quo eigentlich zur Debatte?

Das ist eine wichtige Frage, die in den Schulbüchern oft zur Seite gewischt und eigentlich weder gestellt noch beantwortet wird. Tatsächlich wurde erst im August 1945 die endgültige Entscheidung getroffen das Burgenland wieder in der ursprünglichen Form als selbstständiges Bundesland zu etablieren. Dazwischen gibt es durchaus Bestrebungen den Status quo, den die Nationalsozialisten geschaffen haben, fortzusetzen. Letzten Endes, auch wenn man es in der heutigen Zeit der Auseinandersetzung mit Russland und Putin vielleicht nicht gerne hört, verdankt das Burgenland seine Selbstständigkeit zu einem großen Teil den Sowjets. Nicht aus besonderer Menschlichkeit oder Humanismus, sondern aus pragmatischen Überlegungen: sie wollten sich ihre Besatzungszone schließlich nicht wegnehmen lassen. Schließlich beschloss die Regierung in Wien den gesetzlichen Rahmen für die Rückführung und Wiederherstellung des Burgenlandes. Verwaltungstechnisch war das freilich nicht ganz so einfach, da das Burgenland sieben Jahre lang geteilt war bzw. nicht als eine Verwaltungseinheit existierte.

 

Im zweiten Teil unseres Interviews widmen wir uns gemeinsam mit Oliver Rathkolb u.a. den Fragen zu der Beziehung des Burgenlands zur Europäischen Union und Ungarn, die Rolle Wiens sowie dem Nord-Süd-Gefälle im Burgenland.

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