Bestandsaufnahme zur Situation im Südburgenland (Teil 1)

Wären wir vom Sautanz-Blog der Fraktion „Boulevardjournalismus“ zuzuordnen, hätten wir uns – „clickbait-like“ – wohl einer der folgenden Überschriften bedient: „Das Mezzogiorno Pannoniens“, „Brennpunkt Südburgenland“ oder „Im Armenhaus südlich des Geschriebensteins“. 

Südburgenland Sautanz

Doch wir werden an euch, liebe Leserinnen und Leser, keinen willkürlichen Vertrauensbruch begehen und bleiben standhaft. In einer mehrteiligen Serie wollen wir uns in gewohnt seriöser und evidenzbasierter Recherche dem oftmals strapazierten Bild des benachteiligten Südburgenlands annähern. Der Fokus liegt dabei auf verschiedenen Themenkreisen, von A wie Arbeitsmarkt bis Z wie Zugverkehr. Heute widmen wir uns den beiden umfänglichen Bereichen Demographie und Mobilität.

Bevölkerungsentwicklung und Demographie

Ein Parameter, der für Vergleiche oftmals herangezogen wird, ist die Bevölkerungsentwicklung oder Demographie. Also die theoretische Entwicklung der Bevölkerung und ihrer Strukturen geben dabei Aufschluss wie die Zukunft in etwa ausschauen kann. Klar, das ist manchmal ungenau und manche Ereignisse sind nur schwer vorauszusehen. Deshalb wollen wir uns bei der Beschreibung der Bevölkerungsentwicklung weniger auf unser subjektives Gefühl verlassen, sondern vielmehr faktenbasiert und mit passenden Grafiken (hier unter anderem öffentlich abrufbar) unterlegt die Situation darstellen.

Tatsache ist jedenfalls: Die Bevölkerung im Süden nimmt ab. Während Bezirke wie Neusiedl am See (seit 2011 nun auch nach Einwohnern der größte Bezirk des Burgenlandes) und der Großraum Eisenstadt wahrlich boomen, nimmt die Bevölkerung in den Bezirken Güssing und Jennersdorf kontinuierlich ab. Die Gründe dafür sind viele: Was alle Bezirke gemeinsam haben – und das ist im gesamten Burgenland seit den 1970er (!!) Jahren zu beobachten – die Geburtenbilanz ist klar negativ.

Geburten und Sterbefälle im Burgenland von 1961-2019. (Quelle Statistik Burgenland)

Das bedeutet es sterben mehr Menschen pro Jahr als geboren werden. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und bis in die 1970er Jahre war diese Bilanz, wie man deutlich erkennen kann, noch positiv. Diese Generation der Babyboomer-Jahre (ja die heißen wirklich so), ist heute zwischen 50 und 60 Jahre alt. Welche Auswirkung ihr Ruhestand auf unser Pensionssystem haben wird und wie diese Lücke an Arbeitskräften geschlossen werden kann, lest ihr hier.

Doch nun zurück zum Südburgenland. Während Die Bevölkerungszahlen in den Bezirken Neusiedl und Eisenstadt Umgebung seit den 1990er Jahren förmlich explodieren, ist vor allem in den Bezirken Güssing und Jennersdorf der Abwärtstrend seit nunmehr bald 100 Jahren zu erkennen.

Während die Bezirke im Nordburgenland stark anwachsen, schrumpft die Bevölkerung in den südlichen Landesteilen. (Quelle: Statistik Burgenland)

Bei negativer Geburtenbilanz trotzdem wachsen? Wie geht sich das aus? Nun ja, ohne Zuagroaßte geht im gesamten Burgenland nix. Denn ein zweiter wichtiger Faktor neben der Geburtenbilanz ist die Wanderungsbilanz. Auf gut Burgenländisch: die Differenz aus Zuagroaßte (Zuzüge) minus Fuatgroaßte (Wegzüge). Das bedeutet in den Bezirken des Nordburgenlandes ist dieser Zuzug massiv und trägt zum Bevölkerungswachstum bei. In den Bezirken des Südens ist die Wanderungsbilanz auch positiv. Das heißt es ziehen mehr Leute in den Bezirk, als aus ihm wegziehen. Doch wenn es so ist wie 2019: in diesem Jahr haben die Zuzüge im Bezirk Güssing die Wegzüge plus die negative Geburtenbilanz nicht ausgleichen können. Und das verursacht dann eine Verringerung der Einwohnerzahl. In Jennersdorf war es quasi ein Nullsummenspiel und in Oberwart eine leichte Steigerung. Ein Jahr ist da allerdings nur eine Momentaufnahme. Ein kleiner Ausblick gefällig?

Bevölkerungsvorausschätzung für die nächsten Jahrzehnte. (Quelle: Statistik Burgenland)

Obige Grafik zeigt wohin die Reise in den nächsten Jahren aller Voraussicht nach gehen wird. Schön zu erkennen ist jedenfalls, dass die Schere zwischen Nord und Süd größer wird….

Mobilität

„Wussten Sie zum Beispiel, dass auf 100 Burgenländer 67 angemeldete PKWs kommen? Das ist die höchste PKW-Dichte aller Bundesländer“. Ehrlich gesagt, haben wir jetzt nicht eine tiefergehende Recherche betrieben und nachgefragt, was genau mit dieser Information auf der Website des Land Burgenlandes ausgedrückt werden soll. Allerdings bietet sie einen passenden Ausgangspunkt für unsere Kurz-Analyse. Denn de facto erweist es sich als schwieriges Unterfangen im Südburgenland von Kalch nach Rechnitz (und wieder retour) zu kommen.

Der Individualverkehr in den Bezirken Güssing, Jennersdorf und Oberwart bleibt angesichts der mangelhaft erschlossenen öffentlichen Anbindung zwischen den drei Bezirken die bevorzugte Variante um von A nach B zu kommen. Im Bezirk Güssing existiert seit jeher kein Meter genutztes Bahngleis, im Bezirk Oberwart wird im Moment darüber debattiert, ob die Bahntrassen nicht neuen Fahrradwegen weichen sollen. Zu guter Letzt zieht sich das seit Jahren geplante Vorhaben, die Bahnstrecke zwischen Fehring und Ungarn auf dem Gebiet des Jennersdorfer Bezirkes zu elektrifizieren, wie ein Kaugummi. Nach 2027 soll es tatsächlich soweit sein und die Fahrzeit vom einzigen Bahnhof mit Personenverkehr im Südburgenland nach Graz eine Stunde dauern.

Versucht man innerhalb der Region zwischen den einzelnen Bezirkshauptstädten zu „reisen“, ist eine gehörige Portion Geduld (und ein voll aufgeladener Handyakku) eine kritische Kapazität. Hier die exklusiven Ergebnisse aus unserem Praxistest (noch virtuell auf Basis der offiziellen Fahrplanauskunft der ÖBB):

1. Beispiel: Wir, passionierte Südburgenländer aus Jennerdorf, möchten an einem Samstag ins Kino nach Oberwart fahren, Auto haben wir keines. Aufgrund nicht gegebener Rückreise-Möglichkeit am selben Tag, müssen wir wohl in Oberwart übernachten. Voilà:

Fahrplan Südburgenland

2. Beispiel: Wir, noch immer passionierter Südburgenländer aus Neuhaus am Klausenbach, möchten an einem Donnerstag einen Behördengang am Bezirksgericht Güssing erledigen, Auto haben wir keines. Voilà:

Wollen wir es auf die Spitze treiben und die geschichtsinteressierte Familie Maier aus Heiligenbrunn zur Jubiläumsausstellung nach Stadtschlaining mit den „Öffis“ anreisen lassen? Probiert es gerne selbst aus und berichtet uns eure Ergebnisse in den Kommentaren 😊 Die Abdeckung bzw. Erreichbarkeit von Bankomaten haben wir bereits vor einigen Wochen auf unserem Blog näher erörtert. Die dargelegten Beispiele illustrieren relativ prägnant, warum der Bedarf für ein eigenes Auto tendenziell im Burgenland wächst statt sinkt. Die Rolle des Individualverkehrs spielt für viele Menschen eine elementare Rolle im Leben, um die Distanzen zwischen Wohnort und Behörde, Arbeitsplatz oder ähnlichem zu überbrücken.

 

Fairerweise muss auch erwähnt werden, dass es seitens der verantwortlichen Stellen nicht so ist als ob diese Problematik nicht erkannt wurde. Seit geraumer Zeit gibt es beispielsweise im Bezirk Jennersdorf, der als südlichster Bezirk einfach eine denkbar unvorteilhafte geographische Lage aufweist, mit dem – nomen est omen Jennersdorf-Taxi einen Lösungsansatz. Als regionales Mobilitätsangebot an die bezirkseigene Bevölkerung wird versucht die evidenten Defizite eines mangelhaft abgedeckten öffentlichen Verkehrsnetzes zu kompensieren. Ein ähnliches Angebot existiert für die Stadt Güssing und das untere Pinka- und Stremtal seit 2014, ein zusätzliches Sammeltaxi-Engagement entsteht Mitte 2021 für das Zickental. Die Praktikabilität und Nutzung dieser angebotenen Services können wir allerdings nicht beurteilen.

Wir erlebt ihr die Situation im Südburgenland? Teilt uns gerne eure persönliche Wahrnehmung und Erfahrungen mit einem Kommentar mit!

Zum Nachlesen:
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