Vom Gasthaus- und Landsterben: Türkenwirt Reinhard Fasching im Interview

Wir haben mit Reinhard Fasching als Türkenwirt eine Mogersdorfer Legende im Interview, der auf sehr persönliche Art die Anfänge und das plötzliche Ende seiner fast 40-jährigen Gasthaus-Karriere schildert und mit interessanten Einblicken in das Gastgewerbe aufwartet.

Fasching Türkenwirt

Sautanz: Wie immer als erste Frage zu Beginn unseres Interviews: stelle Dich bei unseren Leserinnen und Lesern selbst kurz vor.

Reinhard Fasching: Ich bin in der Gastronomie groß geworden und habe bis voriges Jahr im Herbst das Gasthaus zum Türkenwirt in Mogersdorf geführt. Durch die Pandemie bin ich jetzt in Pension.

Du warst Jahrzehnte in der Gastronomie tätig. Kannst Du uns beschreiben wie sich diese Branche im Laufe der Jahre gewandelt hat??

Die Wirtshauskultur an sich hat sich meiner Meinung nach stark verändert. Nicht nur beim Essen, auch bei den Getränken. Früher war ich froh, wenn ich als Wirt um drei, vier in der Früh zusperren konnte, heute sitzt man um zehn Uhr abends allein im Gasthaus. Vermutlich, weil der Gast die Alkoholkontrollen fürchtet. Der Schnapskonsum zum Beispiel ist meiner Erfahrung nach komplett zurück gegangen.

Würdest Du Deinen Kindern empfehlen in Mogersdorf ein Gasthaus weiter zu betreiben?

Also ich war mit Fleisch und Blut Wirt. Meine Kinder haben das genauso gelernt und könnten das bestimmt genauso gut machen. Nur, interessant ist es nicht mehr in der jetzigen Zeit. Alleine die Auflagen, die wir heutzutage haben. Vom Lebensmittelinspektor angefangen bis zum Arbeitsinspektorat können die Kontrollen oft auch nervig sein. Wenn ich an meine Lehrzeit zurückdenke, da haben wir 12-15 Stunden am Tag gearbeitet und natürlich auch dementsprechend verdient. Heute, das muss ich so ehrlich sagen, ist man an den Kollektivvertrag gebunden, arbeitet vielleicht acht Stunden am Tag und verdient entsprechend weniger. Da schaut das Ganze freilich eher mager aus. Die Strafen sind enorm, dadurch ist es im Vergleich zu früher nicht mehr so interessant im Wirtshaus zu arbeiten. Was aktuell natürlich auch dazu kommt sind die Auswirkungen der Pandemie und die Unsicherheit der heutigen Zeit, vor allem für die Gastronomie als Branche an sich.

Was kann getan werden, um das Gasthaussterben im ländlichen Raum aufzuhalten?

Das klassische Gasthaus, wie wir es heute im Dorf kennen, ist für die Jugend uninteressant geworden. Interessant sind, mitunter verursacht durch die Werbung, die Fastfood-Ketten wie McDonalds. Bei mir im Wirtshaus hat sich die Dorfjugend regelmäßig getroffen, um gemeinsam zum McDonalds zu fahren und dort um die Wette zu essen. Als sie dann heimgekommen sind, hat mir einer gesagt:“ Heit hob i 28 Euro verfressen!“ Bei mir war er aber nicht bereit für 3 Euro ein Paar Frankfurter oder ein Gulasch zu kaufen. Es hat sich der Trend im traditionellen Wirtshaus einfach geändert.

Kann hier die Politik Deiner Meinung nach etwas daran ändern?

Nein. Ich finde der Trend ist von sich selbst getrieben. Die Werbung weckt das Interesse, macht neugierig. So etwas wie Wirtshauswerbung gibt es nicht. Was dazu kommt, dass man heutzutage lieber daheim bleibt, als in ein Wirtshaus zu gehen. Es hat heute keiner ein Interesse den Führerschein zu riskieren, weil er in der Nachbarortschaft drei Spritzer getrunken hat. Dabei ist es damals ja erst nach dem dritten Mischer „gemütlich“ geworden. Wenn’s passt bleibt der Gast sitzen bis zwei drei in der früh und das war halt eher mit ein paar Mischer oder Bier der Fall. 

Wie siehst Du generell die Entwicklung der Dorfgemeinschaft? Welche Veränderungen nimmst Du wahr?

Das ist sicher auch ein ganz, ganz wesentlicher Punkt. Die Dorfgemeinschaft ist früher zusammengekommen. Als ich 20, 30 Jahre war, habe ich, neben dem Gastronomiebetrieb, Haus gebaut. Aus der Dorfgemeinschaft halfen mir täglich von der Früh weg mindestens vier bis fünf Pensionisten. Am Abend haben sich die Leute im Gasthaus zusammengesetzt. Wenn heute einer Haus baut: Ohne Anzeige kommt er gar nicht davon. Die Nachbarn trauen sich heute ja gar nicht mehr zu helfen. Früher ist nicht gleich gestraft worden, sondern die Leut‘ hatten sich im Wirtshaus ausgeredet. Heute bleiben’s daheim.

Ein Beispiel aus meiner Kindheit: da war es normal, dass wir als Kinder den ganzen Tag, unbeaufsichtigt, im Freien waren. An der Raab oder sonst wo. Heute lässt keiner seine Kinder alleine fort. Heute sitzen die Kinder halt am Handy oder Computer. Das ist jetzt in der Pandemie sicherlich noch schlimmer.

Früher war es eine gewachsene Gemeinschaft. Ist mal jemandem das Moped eingegangen, waren sofort vier, fünf Leute da, die dir halfen und schlimmstenfalls das Moped gemeinsam heimschoben. Heute kannst einen Mechaniker anrufen oder das Moped stehen lassen, helfen tut dir keiner.

Früher, beim Fortgehen, haben die Jugendlichen aus dem Ort zusammengehalten. Vor allem wenn es zu einer Rauferei gekommen ist. Heute schauen sie dir eventuell noch zu und lachen dich aus. Natürlich, das Eingreifen der Behörden spielt da auch ein bisschen mit. Als ich mein Wirtshaus aufgesperrt hab, wurde jede Woche gerauft. Als dann nach fünf Jahren in Jennersdorf der Hoffmann gekommen ist, der neue Richter, hat keiner mehr gerauft. Durch die hohen Strafen wurde das abgestellt.

Welche Erinnerungen haben sich in deinen vierzig Jahren als Gastronom besonders ins Gedächtnis eingeprägt? Kannst du unseren Leserinnen und Lesern daran teilhaben lassen?

Das einprägendste Erlebnis war für mich jedenfalls der Fall des Eisernen Vorhangs 1989, als die Flüchtlinge aus der DDR von Ungarn zu Fuß nach Mogersdorf kamen. Manche haben in meinem Gastgarten erstmals aufgeatmet. Gleichzeitig realisierten sie, dass sie nun alles, was sie sich in der DDR aufgebaut haben, hinter sich gelassen haben und nun ein neues Leben, quasi vom Wirtshaustisch aus, begann. Das ist mir unter die Haut gegangen. Viele sind noch Jahre später als Gäste regelmäßig gekommen, haben sich auf den gleichen Platz von damals gesetzt, um an den Moment von damals zu denken. Es waren damals ja teilweise ganze Familien mit Großeltern, die gekommen sind, und nichts bei sich hatten außer vielleicht ihre Geldtaschen. Das zweite prägende Ereignis war sicherlich auch als im Jahr 2015 die Flüchtlinge aus Syrien gekommen sind. Das sind Erlebnisse, die einen bewegen und richtig nachdenklich machen.

Der Rest ist Wirtshausalltag für einen Gastwirt und vergleichsweise unspektakulär.

Wie hat euer Umfeld reagiert, als ihr bekannt gabt, dass die Pforten des Türkenwirts für immer schließen werden?

Die Reaktion der Leute in der Ortschaft war anfangs nach der ersten Pandemie-Welle „der Reinhard redet ja nur vom Schluss machen, der wird mit 95 Jahren auch noch offen haben“. Dann ging es bekanntlich ganz schnell: im Sommer fasste ich den Entschluss, im September fand das Abschiedsfest statt. Für jene Sommer-Stammgäste, die teilweise jahrzehntelang zu uns nach Mogersdorf essen kamen, kam es einem Schock gleich. In der letzten Woche ging es ganz spontan zu. Viele Stammgäste überraschten uns mit dem einen oder anderen Geschenk. Bis zur letzten Stunde wechselten die Gratulanten, da blieb kein Auge trocken 😊 Sogar die alte Kaffeemaschine, die uns solange gute Dienste erwies und ich selbst über die Jahrzehnte wartete, nahm Abschied: Fünf Minuten nach Mitternacht ging die Heizung ein.

Wirtin Maria und Wirt Reinhard vor...

Image 3 of 4

Ist ein Nachfolger dieses Mogersdorfer Traditionsgasthauses in Sicht oder bleibt der Türkenwirt für immer geschlossen?

Fürs Erste wird das Wirtshaus sicherlich geschlossen bleiben. Baulich gesehen sind das Gasthaus und unser Privathaus miteinander verbunden, da hätten wir keine Ruh‘. Wenn jemand aus der Familie sich die Mühe antun möchte, steht alles wie am letzten Öffnungstag zur Verfügung. So wie’s kummt, kummt’s.

Zum Abschluss: was sind deine nächsten Projekte in dem verdienten Unruhestand?

Jetzt lebe ich mich einmal in die Pension ein. Als Selbstständiger war ich es nicht gewohnt ein regelmäßiges, gleichbleibendes Einkommen zu bekommen. Da entwickle ich jetzt fast Schamgefühle das Geld zu nehmen. Im Ernst: konkrete Ziele verfolge ich keine so wirklich. Die Bienen beschäftigen mich reichlich. Haus, Hof und Garten verlangen mir auch einiges ab. Die ortsansässigen Vereine haben in mir wieder einen Grillmeister gewonnen. Meine Frau und ich sind wirklich glücklich darüber, uns nun die Zeit für unser noch junges Enkerl nehmen zu können. Den Frieden im Haus zu erhalten und dabei entspannt die gemeinsame Zeit zu genießen sind mir wichtiger als irgendwelche festgesteckten Ziele.

 

🐽 Sautanz Word-Shuffle

Glück

Gesundheit und Zufriedenheit sind für mich das größte Glück. Was braucht es auch mehr im Leben?

Honig

Das wertvollste Nahrungsmittel der Welt. Die Bienen sind zwar lästig, doch ich hab‘ sie gern 😊

Work-Life-Balance

Im Gastgewerbe war und ist die Arbeit das Leben. Wir sind in der Früh aufgestanden, ins Wirtshaus arbeiten gegangen und haben uns spät in der Nacht niedergelegt. Ich denke mir als Wirt muss man das Leben mit den Gästen als Genuss verstehen. In meiner Lehrzeit hatte ich alle zwei Wochen einen freien Tag. Die Arbeit begann um 10 Uhr vormittags und endete um 23 Uhr in der Nacht. Die Gäste bestimmten in jeder Form unser Leben. 

100 Jahre Burgenland

Das Jubiläumsjahr ist ein sehr intensives Thema. Ich selbst war auf der Burg Schlaining zur Jubiläumsausstellung, die ich sehr genossen habe. In meiner Schulzeit feierten wir „50 Jahre Burgenland“, heuer den Hunderter als Krönung.

Szentgotthárd

Die Stadt, die immer – oder besser gesagt – für den Großteil meines Lebens fern war von mir. Durch den Eisernen Vorhang erschien mir Szentgotthárd als der unerreichbarste Ort dieser Welt. Vom Balkon meines Heimathauses aus hatte ich die ganze österreichisch-ungarische Grenze in unserer Region im Blick. Ohne Visum war es nicht möglich „rüberzukommen“. Heute pflege ich zu einigen Menschen aus Gotthárd immer noch eine enge Freundschaft.

Sautanz

Das Fest der Schweine. Zweimal im Jahr gab es den Sautanz bei uns auf der Menükarte, welche vom ersten Tag bis zu jenem September-Tag im letzten Jahr, als wir zusperrten, unverändert blieb.

🗨 Kommentare ( 2 )