Herbert Brettl forscht und publiziert über sowie erklärt die Geschichte des Burgenlandes in vielfältiger Form. Im Sautanz-Interview spricht der Historiker über seinen Werdegang, die Besonderheiten in der Gedenk- bzw. Erinnerungskultur im Burgenland und das Jubiläumsjahr 2021.
von Clemens Faustenhammer
Herbert Brettl bezeichnet sich selbst als einen begeisterten Burgenländer. Als Historiker beschäftigt er sich tiefgehend mit den unterschiedlichen Facetten der Geschichte des jüngsten Bundeslandes Österreichs. Zudem unterrichtet der aus Halbturn stammende, mehrfache Buchautor am Gymnasium Neusiedl am See sowie an der Pädagogischen Hochschule in Eisenstadt.
Servus Herbert! Starten wir mit der Frage, wie Du eigentlich zum Beruf des Historikers gekommen bist?
Herbert Brettl: Das Interesse bestand schon seit meiner Schulzeit, was wohl mit dem Umstand zusammenhängt, dass ich gute Lehrer im Fach Geschichte hatte. Daher später auch die Entscheidung, in Wien das Studium der Geschichtswissenschaft zu absolvieren. Während des Studierens merkte ich, dass mich insbesondere die Quellenkunde sehr interessiert. Das Faszinierende daran ist das Entdecken neuer Fakten, die in den Quellen festgehalten sind. Diese Leidenschaft baue ich heute gerne als Teil meines Unterrichts ein.
Was war Deine Motivation sich als Historiker mit dem Burgenland zu beschäftigen?
Viele Themen wie die Verfolgung der Juden in der Zeit des Nationalsozialismus waren weit weg und schwer greifbar für die Schüler. Warum sollte ich über die tragischen Geschehnisse in Wien berichten, wenn in meiner Nachbargemeinde Frauenkirchen ebenso eine Vertreibung der jüdischen Gemeinde im Zuge des Holocausts stattfand. Durch den regionalen Zugang lassen sich meiner Meinung die Bereiche der Geschichte einfacher vermitteln.
Seit 2015 kommentierst Du auf Deinem Burgenland History Blog zeitgenössische Quellen. Wie kam es dazu, einen Blog zu betreiben?
In der Recherche stoße ich oftmals auf Skurrilitäten des Alltags, die ich nicht als Quellen im wissenschaftlichen Kontext verarbeite. Diese „Fundstücke“, die nicht den Weg in die Archive finden, möchte ich der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. Somit kann man den Blog als einen Dienst für die Bevölkerung betrachten, wenn beispielsweise nach zeitgenössischen Quellen zur Heimatgemeinde gesucht wird und die Leute auf meinem Blog fündig werden.
Welche Resonanz aus der hiesigen Bevölkerung gibt es zu Deinem Engagement bisher?
Hier und da erhalte ich Anfragen aus der Leserschaft, die sich auf einen bestimmten Blogbeitrag beziehen. Außerdem werden mir Zeitdokumente aus dem privaten Umfeld zugesendet, die ich nach Rücksprache und Zustimmung auch auf dem Blog veröffentliche.
Was waren die bisherigen Schmankerln auf dem Blog? Was hat bei Dir besonderen Eindruck hinterlassen?
Ein Brief eines Soldaten im Frühjahr 1945, der in Italien an der Front war. Als er vom Vormarsch der Sowjetunion in Richtung Österreich erfuhr, schrieb dieser Soldat an seine Familie in der burgenländischen Heimat: „Wenn der Russe kommt, flieht so weit es geht. Wenn er jenes macht, was wir taten – ich habe euch nicht alles erzählt…“ Da dieser Mann zuvor in Belarus stationiert war, kann man erahnen, was die Leute an der Front wirklich alles über die Gräueltaten wussten, worüber aber in der Heimat kein Wort von den Soldaten verloren wurde.
Gibt es Kooperationen mit anderen Historikern im Burgenland, wie z.B. bei Forschungsprojekten?
Ja, natürlich. Das spielt sich vor allem auf der Ebene des Quellenaustausches ab. Manchmal erhalte ich Anfragen von Ausstellungsgestaltern oder Buchautoren, um gewisse Sachverhalte mit Bezug zur burgenländischen Geschichte zu besprechen und im historischen Kontext einzuordnen.
Kommen wir zu Deinen Büchern, in denen Du Dich u.a. mit dem Antisemitismus aber auch der Vertreibung der Roma & Sinti auf dem burgenländischen Gebiet tiefgehend beschäftigst. Du berichtest über den Antisemitismus im damals noch nicht in seinen Grenzen existierenden Burgenland. Wie weit lässt dieser sich zurückverfolgen?
Sicherlich auf den Anfang des 17. Jahrhunderts. Damals wirkte ein religiös-geprägter Antisemitismus. Im Zuge von Visitationen wurde seitens der Kirche den Beanstandungen von christlichen Bürgern über die Präsenz in manchen jüdischen Gemeinden Folge geleistet. Die Obrigkeiten wie Grundherrn duldeten diese Vorfälle. Spätestens im 19. Jahrhundert tritt stärker ein wirtschaftlich-motivierter Antisemitismus zutage. Was mir in meinen Recherchen auffiel, war, dass die Übergriffe zu jenem Zeitpunkt geschahen als die Machtstrukturen sich auflösten. Zu nennen sind hier die bürgerliche Revolution von 1848 und das Ende der Habsburgermonarchie 1918. Der Antisemitismus war nie weg, er wandelte sich nur. In der Zwischenkriegszeit bis zum Anschluss herrschte der politische und bis zur Zweiten Republik schlussendlich der rassistische Antisemitismus. Dieses Muster des Wandels sieht man quer durch alle Parteien.
Weist die burgenländische Erinnerungslandschaft spezielle Charakteristika im Vergleich zu anderen Bundesländern auf?
Nein. Zunächst standen die Widerstandskämpfer im Mittelpunkt, derer es im ländlichen Raum deutlich weniger gab als in den urbanen Zentren. Dieses Vorgehen unterstützte das Narrativ von Österreich als erstes Opfer des NS-Regimes, welcher sich die Politiker in der Besatzungszeit nicht oft genug bedienen konnten. Danach folgten die Soldatendenkmäler für die gefallenen Helden an der Front. Über andere Gruppen wie Roma, Sinti, Homosexuelle oder die Opfer der NS-Euthanasie existiert ein Diskurs erst seit den letzten zwanzig Jahren. Im Burgenland gibt es für die Deserteure ein einziges Denkmal, das auf private Initiative hin in Purbach aufgestellt wurde.
Das Burgenland wird manchmal als multiethnisches Vorzeigeland für den Umgang mit Minderheiten und der Wahrung der Minderheitenrechte erwähnt. Inwiefern entspricht das den historischen Tatsachen?
Zumindest mag das Vorhandensein einer multiethnischen Diversität vor hundert Jahren noch eine gewisse Gültigkeit haben. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg kann davon keine Rede mehr sein. Die Assimilierung der ungarischen und kroatischen Volksgruppen tat ihr Übriges. In den 1970er und 1980er Jahren gab es hierzulande genügend Vorfälle von beschmierten Ortstafeln. Vor dem burgenländischen Landhaus demonstrierten die Volksgruppen für die Einhaltung ihrer Rechte, was heute nur noch wenigen bekannt ist.
Welche Besonderheiten in der Gedenk- bzw. Erinnerungskultur zwischen den Teilen des Burgenlandes nimmst Du als Historiker wahr?
Ich bin schon froh, wenn Erinnerungsorte existieren. Gedenkorte gibt es in Rechnitz, Oberpullendorf, Lackenbach, Oberwart und Neusiedl am See. Das war’s dann aber auch mit dem regelmäßigen Gedenken an einer Erinnerungsstätte. Über das Burgenland hinweg sieht man einige Lücken, die sich im Landessüden deutlicher hervortun.
Das Jahr 2021 stand ganz im Zeichen des hundertjährigen Jubiläums. Aus der Perspektive eines Historikers: hat sich über diese 100 Jahre Burgenland eine Art burgenländische Identität entwickelt?
Über die Zeit hat sich das Burgenland selbst gefunden. Ob wir das Geburtsjahr mit 1921 festschreiben, lasse ich einmal dahingestellt. Die burgenländische Identität ist an der wirtschaftlichen Entwicklung gehangen. Vor dem Fall des Eisernen Vorhanges und dem EU-Beitritt Österreichs könnte man fast das Gefühl haben, sich für die Rückständigkeit des Burgenlandes im Vergleich zu den anderen Bundesländern zu schämen. Einen ordentlichen Schub für die Identitätsbildung – und im Übrigen viel wichtiger als die Landeshymne oder der Landespatron – war die Etablierung des ORF-Landesstudios in Eisenstadt. In den letzten Jahrzehnten entwickelte sich das Burgenland von einem Abwanderungs- zu einem Zuwanderungsgebiet. Das gestärkte Selbstbewusstsein äußert sich eventuell auch dahingehend, dass die Zeit der Burgenländerwitze ein Ende gefunden hat.
Das Jubiläum „100 Jahre Burgenland“ kann ich mir als eine Art Sonderkonjunktur für Historiker vorstellen. Wie sieht Deine Bilanz dazu aus?
Es war vor allem sehr anstrengend für mich. Die Landesausstellung war für den Veranstaltungsort Stadtschlaining eine großartige Sache. Inhaltlich möchte ich die Ausstellung nicht weiter kommentieren. Im größeren Kontext hätte ich mich auch für ein Konzept, das stärker auf lokale Initiativen gebaut hätte, erfreuen können. Die Geschichte des Burgenlandes lässt sich aus vielen dezentralen Punkten erzählen. Vielleicht ist es auch der Coronapandemie geschuldet, dass die Nachhaltigkeit der vielen Bemühungen im Jubiläumsjahr nicht wie erhofft eintrat.
Aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen: wie siehst Du als Historiker die Zukunft des Burgenlandes?
Gesellschaftlich hoffe ich, dass sich die im Burgenland wohnenden Menschen ihrem Charakter und Wesen treu bleiben. Liebevoll im Umgang mit den Mitmenschen, prinzipiell offen und hilfsbereit. Die Traditionen wie Bräuche und Dialekte tragen zu diesem speziellen Charakter des Burgenlandes bei, gleichwohl das Nordburgenland gerade als verlängerter Speckgürtel Wiens eine interessante Entwicklung durchläuft.
Sautanz Word-Shuffle:
Glück
Glück kann man auch erzwingen.
Kleylehof
Ein kleiner und versteckter Ort, den man zwar kaum kennt, aber zur burgenländischen Kultur und Identität dazugehört.
Bildungsreform
Wir haben schon vieles mitgemacht, aber sind noch nicht am Ende.
Argentinien
Für mich eine zweite Heimat geworden, weil das Land vor vielen Jahrzehnten zur neuen Heimat meiner Verwandten wurde. Wenn Österreich nicht bei der Fußball-Weltmeisterschaft teilnimmt, halte ich es mit Argentinien.
Land der Dörfer
Im Dorf steckt viel Heimat.
Sautanz
Habe ich als Kind noch miterlebt. Vor Weihnachten war im ganzen Ort ein Aufruhr, wenn der Tag des Sautanzes anstand.
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