Grenzenlose Regionalgeschichte – Martin Wolf im Sautanz-Interview

Das Neuhauser Hügelland im südlichsten Teil des Burgenlandes hat eine zweifellos bewegte Vergangenheit, die über die nationalen Grenzen hinausreicht. Wir haben Martin Wolf als fachkundigen Interviewgast einige Fragen zur Regionalgeschichte gestellt.

Martin Wolf

Mit ihm, seines Zeichens umtriebiger Gründer des „Historischen Vereins Neuhauser Hügelland“, haben wir uns dazu und noch zu einigen anderen Aspekten wie das Leben in der Grenzregion, Regionalgeschichte, die Vorteile der Digitalisierung und den ältesten Musikverein im Burgenland unterhalten.

Sautanz: Hallo Martin, vielleicht stellst du dich für den Anfang bei unseren Leserinnen und Lesern selbst kurz vor?

Martin Wolf: Gerne. Ich bin in meinen Mitte dreißiger Jahren und arbeite beruflich in der IT-Branche. Wir wohnen gemeinsam als Familie im wunderschönen Mühlgraben, wohl bekannt durch das Schloss Tabor. In meiner Kindheit war das unser Spielort gewesen, auch wenn mir damals der geschichtliche Aspekt eher nebensächlich erschien 😊

Woher kam das Interesse für Geschichte vor allem um den eigenen (Heimat-) Ort und wie ist letztendlich der Entschluss entstanden, deine Recherchen zu veröffentlichen?

Begonnen hat meine Reise im Jahr 2006 auf der Suche nach den – soweit damals bekannten – Verwandten in den USA. Ich wusste, dass viele dorthin auswanderten. Mit dem Tod meiner Großtante ging der Kontakt zu den fernen Verwandten in Übersee verloren. Eine alte, meiner Oma gehörenden Luther-Bibel aus den USA half mir bei den ersten Rechercheaktivitäten, denn die Wohnadresse des Bruders meines Urgroßvaters Carl Wolf I. in New Britain im Bundesstaat Connecticut war darin notiert. In diesem Haus befindet sich heute ein Quartette Club und sein Enkel wohnt heute noch gleich nebenan im von seinem Großvater erbauten Nachbarhaus, der mit Carl Wolf III. exakt denselben Namen trägt wie er einst. 2009 geriet das Ganze ins Laufen, fünf Jahre später flog ich in die Staaten, um mir selbst ein Bild vor-Ort zu machen.

Ein weiteres Steckenpferd ist die Regionalgeschichte mit der Reformation als zentralen inhaltlichen Schwerpunkt, die mich sehr interessierte und zu der ich einiges aus dem Quellenstudium zusammentrug. Schlussendlich war ich an einer Stelle angelangt, wo ich mir dachte, dass meine Ergebnisse auch andere Menschen interessieren könnten. Somit wagte ich den Schritt in die breitere Öffentlichkeit und Interessierte können auf dem Blog bzw. in der Facebook-Gruppe meinen Recherchen folgen und fleißig kommentieren.

Bist du eigentlich als – Achtung Wortwitz – „einsamer Wolf“ unterwegs oder wie kann man sich das vorstellen?

Zurzeit besteht die Initiative „Historischer Verein Neuhauser Hügelland“ aus den beiden Gründungsmitgliedern, wobei ich vorwiegend die inhaltlichen Themen vorantreibe. Da es in Österreich zwei Mitglieder für die Vereinsgründung erfordert, ist dankenswerterweise meine Lebensgefährten mir zur Seite gestanden (lacht). Bis Anfang nächsten Jahres möchte ich auch andere Gleichgesinnte für die Sache gewinnen. Mein Engagement lebt sehr stark vom Netzwerken. Von Kontakten nach Vorarlberg über diverse überregionale Vereine bis hin zu lokalen Vertretern in den Nachbarortschaften gibt es viele Berührungspunkte zum Projekt.

Wie ist die bisherige Resonanz für deine Initiative?

Viel Interesse besteht von Leuten aus den USA. Hier konnte ich schon individuelle Fragen zur Familiengeschichte klären und die gewünschten Antworten durch meine privaten Nachforschungen bereitstellen. Dieses ehrenamtliche Engagement macht mir einen Riesenspaß und es freut mich, wenn ich den Menschen dabei helfen konnte, die unbekannten Stellen ihrer Familiengeschichte auszuleuchten.

Verein Castrum Dobro Regionalgeschichte

In meinem unmittelbaren Bekanntenkreis löst mein Engagement eher Fragen wie „Wozu der ganze Aufwand“ oder „Das ist ja alles schon Vergangenheit“ aus. Wenn ich ihnen von meinen gewonnenen Erkenntnisse zur eigenen Familiengeschichte oder Regionalgeschichte erzähle, hören sie mir alle wieder mit großer Spannung zu und honorieren wiederum meine Arbeit.

Was waren die bisherigen Highlights deiner privaten Recherchen? Was hat bei dir besonderen Eindruck hinterlassen?

Ein Highlight waren für mich die Erkenntnisse zur eigenen Familie, welche von der Größe her überwiegend in den USA vertreten ist. Zwei Drittel leben dort, das restliche Drittel verteilt sich auf Deutschland und Österreich. Der Burgenland-Anteil ist tatsächlich marginal. Auf „Events“ heruntergebrochen möchte ich neben der USA-Reise das erste virtuelle Treffen mit den amerikanischen Verwandten hervorheben. Die Digitalisierung macht es möglich, global in direkte Kommunikation zu treten. Ein weiteres Detail zur Familiengeschichte: die Wurzeln meiner Familie lassen sich auf den Ort Mühlgraben bis ins Jahr 1620 zurückverfolgen – somit sind wir quasi Ureinwohner 😊

Ein trauriger Aspekt der privaten Nachforschung waren die Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg. Unvorstellbar, aber bei genauerem Blick recht logisch, standen sich die Cousins vom gleichen Stammbaum im Krieg im jeweils anderem Lager gegenüber. Die Burgenland-Auswanderer auf Seiten der Alliierten im amerikanischen Militär, die Hiesigen kämpften in der deutschen Wehrmacht. Zwar achteten die amerikanischen Befehlshaber darauf, dass die Burgenland-Auswanderer keinesfalls in jener Region eingesetzt wurden, aus der sie ursprünglich abstammten. Nichtsdestotrotz kann am Frontverlauf gut nachvollzogen werden, dass sich im schlimmsten Fall Angehörige woanders Front an Front gegenüberstanden. A oarge Gschicht.

Gibt es Vorbilder für deine Arbeit, die dich motivieren oder inspirieren?

Direktes Vorbild habe ich keines. Alles bisher Unternommene geschah aus eigenem Antrieb einen Stammbaum zu erstellen. Es ist halt dann ein bisschen ausgeartet (lacht).

Gibt es Kooperationen und Austausch mit anderen Lokalhistorikern, Heimatforschern bzw. Vereinsfunktionären im Burgenland?

Ja, da gibt es einige Kontakte. Innerhalb des Bezirkes Jennersdorf zum Verein „Pulverturm“ gibt es einen regelmäßigen Austausch. Weiters zur „Österreichischen Gesellschaft für Familien- und regionalgeschichtliche Forschung“ (ÖFR) und – natürlich – zum bekannten „The Burgenland Bunch“ und „Austrian Donau Club“. Zu diesen Leuten halte ich schon sehr lange Kontakt. Außerdem tausche ich mich mit der „Burgenländischen Gemeinschaft“ aus. Diese Verbindungen sind allesamt sehr wichtig und es tut gut sich mit Menschen zu umgeben, die dieselbe Leidenschaft teilen.

Ist deine Geschichte irgendwann erzählt? Was sind deine Ziele für die nächsten Jahre?

Noch so einiges, denn „meine“ Geschichte ist noch lange nicht erzählt. Eine Vision mit einem Zeithorizont von zwanzig Jahren ist die aktive Mitgestaltung der Region Jennersdorf, Güssing und den Nachbarregionen in Slowenien und Ungarn. Hier wird noch einiges zusammenwachsen, was historisch auch zusammengehört. Dies aufzubereiten und anschaulich zu erklären bleibt ein spannendes Tätigkeitsfeld.

Kurzfristig möchte ich das im September geplante Auswanderertreffen mit Ausstellung zum Thema „Auswanderer vom Dreiländereck“ im Schloss Tabor erwähnen. Ich freue mich auf zahlreichen Besuch 😊

🐽 Sautanz Word-Shuffle

Glück

Bedeutet für mich Familie und Zufriedenheit. Familie steht über allem und ein Leben im Grünen gehört für mich dazu. Erst ein zufriedener Mensch ist ein glücklicher Mensch, wenn ich meine Oma und meinen Vater zitieren darf.

Heimat

Heimat ist für mich jener Ort, wo ich mich wohlfühle und gerne wieder zurückkomme. Unterhalb der Raab kenne ich ein jedes Haus, das ist keine Untertreibung. Interessant sind für mich die Menschen, die darin leben, und ihre eigenen, persönlichen Geschichten 😊

Grenzen

Grenzen existieren nur in den Köpfen. Das Dreiländereck stellt so einen markanten Punkt dar. Früher waren die angrenzenden Regionen miteinander verbunden, heute sind sie auf Österreich, Ungarn und Slowenien verteilt. Der Eiserne Vorhang hat hier viel Unheil gebracht und die Grenzen für die Bewohner klar und deutlich vor Augen geführt. Der EU-Beitritt hat diesbezüglich eine positive Änderung bewirkt.

100 Jahre Burgenland

Viele Ereignisse, viele reden darüber. Und viele Ausstellungen sind geplant, jedoch sehe ich im Jahr 2021 relativ wenig Detailreiches über die digitalen Kanäle verfügbar. Vom entstandenen Eindruck bei meinen Bekannten aus den USA zum Burgenland-Imagefilm während des Neujahreskonzertes rede ich gar nicht.

Musik

Als Obmann des Musikvereins Neuhaus am Klausenbach – übrigens mit dem Gründungsjahr 1850 der älteste Verein dieser Art im Burgenland – spielt Musik eine wichtige Rolle in meinem Leben. Da bin ich dank meines Großvaters familiär „belastet“. Unter den gegenwärtigen Voraussetzungen ist zwar an ein gemeinsames Musizieren nicht zu denken, dennoch macht gerade jetzt die Musik das Leben verträglicher.

Sautanz

Der Sautanz weckt Kindheitserinnerungen in mir. Ich konnte die letzten Hausschlachtungen im Winter noch miterleben, als die Sau z’legt wurde. Bluatsterz, Schweinsbraten, g’röste Leber… alles noch bekannt von damals. Tja. Wie sich die Zeiten änderten: 2006 gab es noch 19 Tierhalter, davon 7 Rinderhalter mit jeweils 5-10 Rindern in meiner Heimatgemeinde, heute hat ein Bauer „Der Rinderbaron“ 270 Rinder. Und selbst der hat streng genommen seinen Betrieb in der Nachbargemeinde. Dank diesem zählt Mühlgraben zu den Gemeinden im Burgenland mit dem größten Bioanteil an der landwirtschaftlich genutzten Gesamtfläche im Ort und sorgt für die Erhaltung der Wiesen.

 

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