Nachdem fast ein Jahr vergangen ist, seitdem wir über die unbekannte slowenische Grenze im Burgenland geschrieben haben, begeben wir uns wieder in ein Grenzabenteuer und wandern vom Stadelberg zum Grenzwirt in Bonisdorf und weiter zum anderen Grenzwirt nach Oberdrosen.
Die slowenisch-burgenländische Grenze beginnt am „kleinen“ Dreiländereck Slowenien-Steiermark-Burgenland in der Nähe des Buschenschankes Hackl in Sichauf (ein Ortsteil der Marktgemeinde St. Anna am Aigen, Stmk.) und führt von Kalch bis auf den Stadelberg (siehe Teil II unserer Serie vom 04. November 2022), vom Stadelberg zum Grenzgasthaus (Teil III), vom Grenzgasthaus nach Tauka (Teil IV) und von Tauka bis zum Dreiländereck Österreich-Ungarn-Slowenien (siehe Teil I vom 29. April 2022).
Das kleine Dreiländereck Steiermark, Burgenland, Slowien wird markiert durch diesen hübschen Grenzstein aus dem Jahr 1919.
Da die Strecke des Teiles III vom Stadelberg zum Grenzgasthaus überwiegend durch nicht erschlossenes und unwegsames Waldgebiet und eher im Sommer mit einem Körberl zum Schwammerlsuchen und/bzw. mit Reisepass, falls man sich nach Slowenien verirrt, mühsam bewältigt werden kann und – wie Elias in Teil I und Teil II treffend schreibt – „noch teilweise ein echtes Niemandsland ist“, widmen wir uns im Rahmen einer Herbstwanderung dem Teil IV – die slowenisch-österreichische Grenze von einer Wirtin (Grenzgasthaus Bonisdorf) zur anderen Wirtin (Gasthaus Lang in Oberdrosen).
Das Gasthaus Mertschnigg hat eine bewegte Geschichte.
Der einzige internationale Grenzübergang zwischen Burgenland und Slowenien: Bonisdorf – Kuzma
Unser Ausgangspunkt, das Grenzgasthaus, das aufgrund seiner Lage, Geschichte, Besitzerwechsel und Bezeichnungen (Grenzwirt, Eckwirt, Schmugglerwirt, Rogan-Wirt, Gasthaus Mertschnigg, Grenzgasthaus) schon einen eigenen Beitrag in unserem Sautanzblog wert wäre, befindet sich direkt an der slowenisch-österreichischen Grenze in Bonisdorf, wo in unmittelbarer Nähe noch beide über 40 Jahre leerstehenden Zollgebäude von der alten Grenzübergangsstelle Österreich-Slowenien nach Kuzma stehen. Im Zuge der Trassenverlegung der Bundesstraße (B 58 – Doiber Straße) und nach Errichtung einer neuen Grenzübergangsstelle und eines Duty Free-Shops wird am 19. Juni 1981 der neue internationale Grenzübergang eröffnet.
Gegenüber vom Grenzwirt befinden sich die Zollgebäude von ÖSterreich (links), und Slowenien (rechts).
Heiß umfehdet, wild umstritten
Unmittelbar am Grenzgasthaus und gegenüber auf der anderen Straßenseite stehen jeweils beide Grenzsteine mit Ort und Datum der Unterzeichnung des Friedensvertrages. Mit den Pariser Vorortverträgen (St. Germain am 10. September 1919 und Trianon am 04. Juni 1920) enden der 1. Weltkrieg und das Bestehen der Doppelmonarchie Österreich/Ungarn, entstehen einige Nachfolgestaaten und müssen Teile des Territoriums an Nachbar- und Nachfolgestaaten abgetreten werden. Im Friedensvertrag von St. Germain wird bereits festgelegt, dass Deutsch-Westungarn (unser Burgenland) an Österreich geht. Ohne Erfolg fordert Ungarn die Rücknahme der Entscheidung und eine Volksabstimmung und unterschreibt schließlich den Friedensvertrag von Trianon am 04. Juni 1920.
Die Grenzsteine erinnern an den Vertrag von Saint Germain, die Hinweistafel hat auch schon bessere Tage erlebt.
Achtung Staatsgrenze – Wegmitte
Auf asphaltierten Güterwegen zu und in kleinen Siedlungen und im offenen Gelände und geschotterten Waldwegen (ca. 5 km) erreichen wir begleitet von den in unregelmäßigen Abständen paarweise aufgestellten Grenzsteinen in absteigender Reihenfolge bis zu den Steinen mit den Nr. Oe I 31 und RS I 31 das Gasthaus Lang in Oberdrosen, wobei die Staatsgrenze fast durchgehend in der Wegmitte verläuft.
Eintauchen in eine Zeit vor Jahrmillionen
Bei Nr. 83 beginnend vorbei an einigen landwirtschaftlichen Anwesen führt uns der Weg in den herbstlich verfärbenden Wald, wo wir auf slowenischer Seite zwei Sandwände entdecken, die – zur Anlage des Weges abgegraben – wertvollen Sand als Baumaterial zum Mischen von Mörtel und Verputzen von Gebäuden liefern. Mit der Vorstellung, zig Meter unter dem Meeresspiegel zu stehen, bestaunen wir die vielen Schichten der hunderte Millionen Jahre alten Meeresablagerungen. Während eine Sandwand schon dem Verfall preisgegeben wird, aber trotzdem wertvolle Meeresablagerungsschichten freigibt, wird von der anderen Wand noch Sand abgebaut, und werden in die Wand unzählige Liebesbekundungen und -erklärungen geschnitzt und von Wildbienen Brutröhren gebohrt. Von Spinnen werden die Löcher danach als Lauerplätze versponnen.
Den Sand brauchen viele Wildbienen, um ihre Brutröhren zu bauen.
Das Anlegen eines „Röntgenbildes“ (mit Blitzlicht fotografiert) kaschiert die wertvollen Schnitzereien und lässt die Schichten richtig wirken, in denen Muschelschalen, Schneckenhäuser und versteinerte Blätter und Holzstücke schon einige hundert Millionen Jahre schlummern.
Geritzte Inschriften sind alt (Foto ohne Blitz aufgenommen)…
… die noch viel älteren Sedimentschichten sieht man erst mit Blitz, sie sind uralt.
Mit etwas Glück findet man bestens erhaltene versteinerte Muscheln.
Wieder zurück in die Jetztzeit – oder doch nicht
Nach dem Verlassen des Waldes verlassen wir auch die Grenze, die durch Wiesen und Felder verläuft, und wandern durch eine kleine slowenische Siedlung, wo uns gleich am Beginn ein Relikt aus dem vorigen Jahrtausend begrüßt: Eine alte Woazhapfn (Maiskolbenkonservierungseinrichtung), in die normalerweise geschälte Maiskolben zum Trocknen und als Vorrat gefüllt werden, aber seit dem Zeitalter des Mähdreschers überflüssig ist.
Die Woazhapfn ist ein Relikt des letzten Jahrtausends.
Kleine Grenzübergangsstelle Tauka – Matjasevci
Gleich nach der Siedlung holt uns die alte Grenze wieder ein. Wir werfen noch zwei kurze Blicke auf die beiden Dörfer in Österreich und Slowenien, bevor wir nach ca. 400m am Waldrand die kleine Grenzübergangsstelle mit den beiden leerstehenden Zollhäusern erreichen.
Die Landschaft ist ein Traum: links der Blick nach Tauka, rechts das liebe Örtchen Matjasevci.
Während wir auf der österreichischen Seite belehrt werden, dass wir hier mit PKW und Kleinlaster nur bis 2,5 t Gewicht und nicht mit Bus fahren dürfen und für uns mit Traktor (ohne Anhänger), mit (Kraft)Fahrrad, als Fußgänger und Reiter mit Pferd ein Gewicht bis 20 t erlaubt ist, werden wir in der Region Kuzma „Willkommen“ geheißen!
Gastfreundlichkeit in Slowenien (links) während in Österreich (Bild rechts) Recht und Orndung herrscht.
Nicht zu übersehen sind die Schönheiten der Natur . . .
. . . und die weniger schönen Taten des Menschen,
. . . bis es jemandem reicht: „Halt – Bemalen ist erlaubt!“
Solidarnoc, Streiks, Kriegsrecht, Kundgebungen, Tote, demokratische Opposition, kommunistische Führung, Verbote, Montagsdemonstrationen, Mauerfall, Wiedervereinigung, Massenflucht, Glasnost und Perestroika
Am 16. Oktober 1978 wird nach 450 Jahren mit dem Krakauer Kardinal Karol Wojtyla ein Nicht-Italiener zum Papst gewählt: Johannes Paul II. – ein Mann aus Polen, einem Land hinter dem Eisernen Vorhang, der nach dem 2. Weltkrieg bis zu den Revolutionen im Jahre 1989 in der Zeit des Kalten Krieges die Trennlinie zwischen den demokratischen Staaten im Westen und den kommunistischen Staaten im Osten bildet und sich durch ganz Europa vom Eismeer im Norden Norwegens bis zum Schwarzen Meer zieht. Eine Flucht über den Eisernen Vorhang mit Mauern, Stacheldraht, Niemandsland, Warnanlagen, Wachtürmen, ständigen Grenzpatrouillen und wuchtigen Grenzbalken ist fast aussichtlos: Eine tote Grenze, ein sicherer Tod.
Heute ist solch ein Grenzbalken (in der EU) nur mehr im Museum zu finden.
Ein amerikanischer Zeithistoriker datiert den Anfang vom Ende des Kalten Krieges auf den 2. Juni 1979, als Papst Johannes Paul II. bei seinem Polenbesuch in Warschau landet. Sein historischer Besuch ist die Initialzündung zum Entstehen der Gewerkschaft Solidarnoc mit Lech Walesa an der Spitze, die das kommunistische Regime in Polen destabilisiert und schlussendlich seinen Zusammenbruch herbeiführt. Die dadurch ausgelöste Kettenreaktion bringt das Sowjetimperium zum Einsturz und im Wendejahr 1989 den Eisernen Vorhang zum „Schmelzen“.
Der Eiserne Vorhang wird staatenverbindendes Naturschutzprojekt
Mit dem kurzen Abstecher in die Geschichte als Einleitung und Erklärung setzen wir unsere Wanderung fort und treffen immer wieder auf Tafeln mit der Aufschrift „Themenweg Grünes Band“, die uns sagen, dass unsere Wanderroute zum ehemaligen Todesstreifen zwischen Ost und West bis 1948, als sich Jugoslawien von Russland lossagt, gehört.
Die slowenische Grenzwanderung ist auch eine Wanderung entlang des Grünen Bandes.
Aus dem Todesstreifen wird ein Lebensstreifen!
Das Grüne Band, der ehemalige Grenzstreifen des Eisernen Vorhangs ist das größte und längste Naturschutzprojekt nicht in Europa, sondern weltweit, das sich auf einer Gesamtlänge von über 12.500 km vom Eismeer bis ins Schwarze Meer erstreckt – mit dem schon erwähnten Abstecher entlang der slowenisch-österreichischen und slowenisch-italienischen Grenze bis zum Mittelmeer. Der erste Schirmherr des Grünen Bandes Europa ist der ehemalige Staatspräsident der Sowjetunion Michail Gorbatschow, der am 30. August 2022 starb.
Etwas Süßes zum Abschluss unserer Wanderung
Bevor wir unser Ziel – das Gasthaus Lang in Oberdrosen – erreichen, beobachten wir Honigbienen beim Ein- und Ausfliegen, die Honigtau sammeln und daraus wertvollen Waldhonig herstellen.
Mit diesem süßen Abschluss beenden wir unsere slowenische Grenzerfahrung:
Hier geht es zu Teil I und Teil II der Serie.