Gemeinderatswahlen im Burgenland: Interview mit Joschi Hochwarter, Gemeinderat in Jennersdorf (Teil 3)

Nach der Wahl ist vor den Wahlen: in diesem Teil haben wir ein Interview (nach der Wahl) mit Joschi Hochwarter geführt. Er berichtet über seinen Beschluss in die Politik zu gehen und den „Fraktionszwang“ der „Altparteien“. 

 

Sautanz: Wie immer als erste Frage zu Beginn unseres Interviews: stelle Dich bei unseren Leserinnen und Lesern selbst kurz vor.

Joschi Hochwarter: Mein Name ist Joschi Hochwarter, ich bin Zahnarzt im Ruhestand. Unruhestand besser gesagt, denn ich bin politisch aktiv für eine unabhängige Bürgerliste in Jennersdorf. Davor habe ich auch ein bisschen in die Landespolitik reingeschnuppert und war 2015 für eine unabhängige Liste am Wahlkampf beteiligt.

 Wie war der Prozess von der Idee bis zum Wahlantritt? Welche wesentlichen Schritte sind hervorzuheben?

OK, dann gehen wir ganz weit zurück. Mein Elternhaus war traditionell eingestellt, also ÖVP-lastig. Über die Jahre, oder in meinem Fall schon Jahrzehnte, merkt man, wie die Dinge verkehrt rennen und vor allem auch was besser gemacht werden könnte. Da war mein Ansatz, dass es nichts nutzt, wenn man daheim darüber schimpft oder sich am Wirtshaustisch über die Politiker beschwert, sondern selbst aktiv zu werden. Ich war dann wie schon gesagt 2015 bei den Landtagswahlen aktiv und habe dann den Entschluss gefasst auch in Jennersdorf, also auf Gemeindeebene, eine unabhängige Bürgerliste zu gründen. Beim ersten Antreten 2017 haben wir dann quasi aus dem Stand die absolute Mehrheit der ÖVP gebrochen und sind als zweitstärkste Fraktion in den Gemeinderat eingezogen und haben den Bürgermeister gestellt.

Was sind die Anforderungen an einen Gemeinderatsabgeordneten im Jahr 2022, um das Mandat im Interesse der lokalen Bevölkerung auszuüben?

Das lässt sich ganz kurz zusammenfassen, da braucht man auch nicht studiert zu haben. Es reicht meiner Meinung nach als Gemeinderat zu sagen: „Den einen Standpunkt kann ich vertreten, den anderen nicht“, „Das eine befürworte ich, da bin ich dagegen.“ Das ist auch das Kernproblem, das die „alten“ Parteien haben, dort wird nach Fraktion abgestimmt und man unterliegt einem Fraktionszwang. Das habe ich in der Form auch in der Praxis miterlebt, dass Stimmen dagegen abgegeben, obwohl der Gemeinderat selber davon überzeugt war, dass der Vorschlag eigentlich richtig wäre. Das ist die Parteiräson. Etwas was mir immer schon zuwider war. Deshalb behalte ich meine freie Meinung auch als Gemeinderat. Das wichtigste ist für mich eine eigene Meinung zu haben und auch dazu zu stehen und dementsprechend nach bestem Wissen und Gewissen abzustimmen. Wobei man sich notfalls ja auch vom Gegenteil überzeugen lassen kann.

Welche typischen Aufgaben sind mit einem Gemeinderatsmandat verbunden? Wie viel Zeit nimmt Dein (ehrenamtliches?) Engagement in Anspruch?

Ja, es ist grundsätzlich ein ehrenamtlichen Engagement. Es wird jede Gemeinderatssitzung mit ca. 90 .- € vergütet, es ist so etwas wie eine Aufwandsentschädigung. In Jennersdorf haben wir ungefähr 12-14 Sitzungen pro Jahr. Stadträte bekommen eine höhere Vergütung. Die Arbeit eines Gemeinderates kann sich im Prinzip darauf beschränken, bei den Sitzungen anwesend zu sein und im richtigen Moment die Hand zu heben. Oder aber – und das ist dabei meine persönliche Herangehensweise – man versucht eigene Ideen einzubringen, setzt sich zusammen und versucht etwas zu verwirklichen. Wobei das ehrlich gesagt relativ zach geht. Leider. Als ich 2017 frischgebacken in den Gemeinderat gekommen bin, habe ich geglaubt wir verwirklichen ein Projekt nach dem anderen, die Realität ist jedoch ein bisschen anders.

Eine heikle Frage: inwiefern ist man als politische Organ eigentlich für getroffene bzw. verabsäumte Entscheidungen haftbar?

Diese Frage ist relativ einfach beantwortet: leider überhaupt nicht. Wenn man Fehler macht, sollte man auch dafür die Haftung übernehmen und dafür auch Geradestehen können. Diese Fehlerkultur existiert in Österreich überhaupt nicht. So etwas wie Ehrlichkeit und Handschlagqualität ist im Prinzip das, was ich an der Politik vermisse. Auch dass man das Gefühl hat, ein Politiker kümmert sich auch um seine Leid. Das war früher vielleicht einmal der Fall. Ehrlich gesagt war ich kein Fan vom Kreisky, man hatte aber das Gefühl der macht was. Heutzutage hat man das Gefühl, dass alles den Bach runter geht wie man so schön sagt. Ohne, dass dagegen was unternommen wird. Als Gemeinde ist man zwar das kleinste Rädchen in diesem System, aber genau da muss man Ansetzen.

Warum interessieren sich immer weniger junge Menschen für Lokalpolitik?

Ich finde heutzutage hat die Jugend sehr vielfältige Interessen: Man studiert irgendwo, ist unter der Woche nicht da und geht am Wochenende lieber auf ein Festl. Es ist uns aber durchaus gelungen junge Leute auch zu motivieren, bei uns mitzumachen.
Ein weiterer Punkt ist sicherlich die Politikverdrossenheit, die da mitspielt. Es steht in unserer Gesellschaft halt immer noch als Drohung im Raum, dass man ohne Partei nix erreicht. Ich habe viele junge Menschen in Ausbildung kennen gelernt, die uns abgesagt haben und gemeint haben: „Ich trau mich bei euch nicht mitmachen, weil ich möchte eine Anstellung beim Land.“ Man weiß ja genau wie es läuft bei uns. Man traut sich also nicht offiziell zu einer Liste zu bekennen, in der Wahlzelle ist man allerdings anonym.

Was war für dich ein Grund, dich überhaupt in der Gemeindepolitik zu engagieren? Mehr Freunde macht man sich so wohl kaum…

Für mich ist Umweltschutz und Naturschutz ein großes Anliegen, denn wir können nicht so weitermachen wie bisher. Stichwort Massentierhaltung, Bodenversiegelung und Intensivlandwirtschaft. Es braucht eine ehrliche Umweltpolitik. Die Realität ist wieder eine andere. Ich gebe ein Beispiel: Es braucht nur eine lokale Größe daherkommen, die jemanden kennt, und schon ist eine Rodung genehmigt. Sogar die Umweltanwaltschaft hat mir vermittelt, dass man faktisch keine Chance gegen so etwas hat, sobald es in der BH genehmigt wird. Da sind unsere Gesetze eigentlich für die Fisch. Während wir uns aufregen, dass in Brasilien der Regenwald vernichtet wird, sollten wir lieber vor der eigenen Haustüre kehren.

Welche Lösungen können auf Gemeindeebene gefunden werden, um in einer von Abwanderung betroffenen Region wie insbesondere der Bezirk Jennersdorf neue Impulse zu setzen?

Das ist schwierig. Die Herangehensweise als Mediziner ist hier vielleicht hilfreich: Symptome, Diagnose, Therapie. Oder einfacher formuliert: Woran krankts? Wir sind sicherlich keine Industrieregion. Diesbezüglich Arbeitsplätze herzubringen ist schwierig. Was ist unser Kapital? Aus meiner Sicht die Natur und die Landschaft. Es beschränkt sich allerdings auf Restflächen, die wir bei dieser Intensivlandschaft haben. Sanfter Tourismus ist sicherlich etwas, wo man investieren kann und auch Arbeitsplätze schafft. Aber auch zu schauen, dass wieder eine kleinstrukturierte Landwirtschaft möglich ist und kleine Betriebe überlebensfähig sind. Da muss man allerdings auf EU-Ebene bei der Agrarförderung ansetzen. Es gehört eine degressive Förderung durchgesetzt, wo auch ein Kleinbauer wieder die Chance hat, zu überleben. Die Großbauern kaufen aktuell das Land auf und der kleine geht drauf.

Was die Arbeit in der Region betrifft sind wir halt auch auf die großen Betriebe wie Magna in Graz oder in Ilz angewiesen, oder auch Lenzig in Heiligenkreuz. Es tut sich schon was bei uns, allerdings auch nicht für jede Berufsgruppe.

Nach den gesammelten Erfahrungen in den letzten Jahren: welche Ratschläge kannst Du Leuten mitgeben, die sich überlegen, eine Bürgerliste zu starten?

Bitte trauts euch, es zahlt sich aus. Mein Tipp: Vermittelts den Leuten, dass ihr nicht für die Partei da seid, sondern für die Gemeinde und ihre Bürger. Dieses Prinzip ist ganz einfach.

 

Sautanz Word-Shuffle:

Glück

Ist gleichzusetzen mit Gesundheit, intakter Umwelt und Lebensqualität. Mehr braucht ma ned.

Zahnheilkunde

Ein interessantes Fachgebiet, mit leider zu wenigen Fachärzten.

Freiheit

Das höchste Gut, dazu zählt für mich auch die Freiheit, Meinungen zu äußern.

Basisdemokratie

Vorbild ist die Schweiz. Es kann nicht sein, dass eine Partei festlegt, was gut ist für die Leute und es in Wirklichkeit komplett konträr abläuft. Deshalb sollte man mehr Volksabstimmungen zulassen, die Leute sind nicht dumm!

Joschi Express

Meine erste Band. Das war eine tolle Zeit, die schon 40 bis 50 Jahre zurück liegt. Eine Jugendsünde!

Sautanz

Abgesehen von den Blogschreibern, ein traditionell geprägter Begriff. Beim Schweindl Abstechen vergeht mir allerdings die Freude.

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